Dr. Anja V. Hartmannn
Regionalvorstand der FidAR Hanse

Mehr Frauen in die Aufsichtsräte

Der bundesweite Verein FidAR fordert die Gleichstellung von Frauen. Dr. Anja V. Hartmann ist Regionalvorstand der FidAR Hanse. Was der Verein bisher erreicht hat und wie die Forderungen durchgesetzt werden können, berichtet sie im Interview.

Was ist FidAR und welche Ziele verfolgt der Verein?

FidAR – Frauen in die Aufsichtsräte e. V. – besteht seit 2006 und setzt sich dafür ein, den Frauenanteil in Führungspositionen signifikant und nachhaltig zu erhöhen. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Gleichstellung von Frauen in verantwortlichen Positionen und in der Gesellschaft zu mehr Gerechtigkeit, besseren Entscheidungen und größerem wirtschaftlichem Erfolg für Unternehmen und für die Volkswirtschaft insgesamt führt.

Warum ist ein Verein wie FidAR überhaupt nötig?

Der Frauenanteil in Führungspositionen in Deutschland ist aktuell immer noch weit von der Parität entfernt. Nach den Erhebungen im letzten Women-on-Board-Index von FidAR (Stand Mai 2025) liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten zurzeit bei 37 Prozent (im Vergleich zu 19,9 Prozent im Jahr 2015) und in den Vorständen bei 19,9 Prozent (im Vergleich zu 5,2 Prozent im Jahr 2015). Für Norddeutschland gibt es bisher keinen separaten WoB-Index, aber mit der Beiersdorf AG (Hamburg) oder der Drägerwerk AG (Lübeck) sind immerhin zwei positive Beispiele aus dem Norden unter den Top 30 beim Frauenanteil im Aufsichtsrat. Nichtsdestotrotz: Auch nördlich der Elbe gibt es noch viele Unternehmen, die bei Neubesetzungen in Aufsichtsrat oder Vorstand den Frauenanteil weiter erhöhen können. Wichtig ist, dass Eigentümer und Entscheider in allen Unternehmen das Thema Parität als einen wichtigen Erfolgsfaktor bei Personalentscheidungen immer mit im Blick behalten – nicht nur für Führungspositionen, sondern in der gesamten Unternehmenshierarchie.

Woran liegt es, dass Frauen in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert sind?

Das ist ein weites Feld und eindeutige Antworten gibt es leider nicht – sonst wäre Parität sicherlich längst erreicht. Die Ursachen dafür sind vielfältig. In manchen Branchen – etwa in ingenieurnahen Feldern – liegt das schlichtweg daran, dass Frauen schon in Ausbildung und Studium unterrepräsentiert sind. Wenn weniger Frauen am Start sind, gelangen (fast) automatisch auch weniger Frauen in Spitzenpositionen. In anderen Bereichen starten Frauen zwar in vergleichbarer Zahl und teilweise sogar mit besseren Abschlüssen in den Beruf, verlieren dann aber mit jeder Hierarchiestufe an Präsenz. Das Phänomen heißt Leaky Pipeline und die Gründe dafür liegen – je nach Unternehmen – in Beschäftigungsstrukturen (etwa Teilzeit), in der Unternehmenskultur, in Unterschieden zwischen männlichem und weiblichem „Selbstmarketing“, in der – im Vergleich zu männlichen Netzwerken – schwächeren Ausprägung weiblicher Netzwerke oder in der Start-Stopp-Natur mancher Frauenkarrieren, zum Beispiel aufgrund von Familienzeiten. In Bezug auf das Auftreten von Frauen zitiere ich gern Christina Sontheim-Leven, Co-Autorin des Buchs „Machtgebiete“ (2025): „Was viele Frauen verbindet, ist das Gefühl, nie richtig zu sein. Sie sind wahlweise zu leise, zu laut, zu pushy, zu vorsichtig, zu emotional.“ Mit anderen Worten: Es ist leider immer noch (zu) einfach, den Frauen selbst die Schuld an ihrer kollektiven Unterrepräsentanz in Führungsetagen zuzuschieben, weil das Umfeld – je nach Blickwinkel – die Erwartungshaltung immer wieder verändert.

„Aktuell setzen wir uns dafür ein, die Regeln des Führungspositionengesetzes auf mehr Unternehmen auszuweiten.“

Dr. Anja V. Hartmann

Wie kann es gelingen, mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen?

Noch immer werden zu wenige Unternehmen aus eigenem Antrieb aktiv, um den Frauenanteil in ihren Führungspositionen zu steigern. FidAR engagiert sich deshalb für entsprechende politische Rahmenbedingungen. Die Einführung der Geschlechterquote für Aufsichtsräte 2015 war hierfür ein erster Meilenstein. Aktuell setzen wir uns dafür ein, die Regelungen des Führungspositionengesetzes auf mehr Unternehmen auszuweiten, damit der Weg in Richtung Parität schneller und besser gelingt. Flankierend dazu arbeiten wir mit Unternehmen zusammen, um günstige (oder hinderliche) Rahmenbedingungen im Einzelfall besser zu verstehen, sodass die Voraussetzungen für Frauenkarrieren in möglichst vielen Firmen möglichst gut werden. Schließlich unterstützen wir unsere knapp 1.500 Mitglieder in ihrer eigenen Karriereplanung und -entwicklung. Dazu gehört auch, dass wir mit FidAR ein starkes Netzwerk unter Frauen pflegen – so wie auch viele andere Frauennetzwerke in der Wirtschaft, mit denen wir hierbei gern kooperieren.

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Thema Frauenquote: Ist das aus Ihrer Sicht ein Werkzeug, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen?

Für Geschlechterparität braucht es eigentlich kein separates Gesetz, sondern sie leitet sich direkt aus dem Grundgesetz ab (Art. 3 Abs. 2). Dabei gilt diese Parität – ebenso wie eine Geschlechterquote – immer für Frauen und Männer, je nachdem, welche Gruppe gerade benachteiligt ist; in dem Sinne ist sie auch nie überholt. Und: Solange die faktische Gleichstellung nicht erreicht ist, ist eine konkrete Quote ein gutes Instrument, damit die Entscheider in den Unternehmen das Thema nicht aus den Augen verlieren. Das ist umso wichtiger in Zeiten, in denen gravierende wirtschaftliche Fragen viele Leitungsgremien bewegen. Ein anhaltender Fokus auf Diversität – nicht nur in puncto Geschlecht – kann in solchen Phasen einen starken Beitrag dazu leisten, dass die Entscheidungskultur robust bleibt und nicht in überholte Muster zurückfällt.

Interview: Benjamin Tietjen, IHK-Redaktion Lübeck, benjamin.tietjen@luebeck.ihk.de